Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx Friedrich Engels Werke Band 42, S. 3-13. Dietz Verlag, Berlin 1983.
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Bastiat. Harmonies Économiques. 2 édit.
Paris. 1851.
Avantpropos[1]
Die Geschichte der modernen politischen Ökonomie endet mit Ricardo und Sismondi, Gegensätze, von denen der eine englisch, der andre französisch spricht – ganz wie sie am Ende des 17. Jahrhunderts beginnt mit Petty und Boisguillebert. Die spätere politischökonomische Literatur verläuft sich entweder in eklektische, synkretistische Kompendien, wie z.B. das Werk von J. St. Mill, oder in tiefere Ausarbeitung einzelner Zweige, wie z.B. Tookes „History of Prices“ und im allgemeinen die neueren englischen Schriften über Zirkulation – der einzige Zweig, worin wirklich neue Entdeckungen gemacht worden sind, da die Schriften über Kolonisation, Grundeigentum (in seinen verschiednen Formen), Population usw. eigentlich nur durch größere stoffliche Fülle sich vor den ältern auszeichnen – oder Reproduktion alter ökonomischer Streitfragen für ein ausgedehnteres Publikum und die praktische Lösung von Tagesfragen, wie die Schriften über free trade[2] und protection[3] – oder endlich in tendenziöse Zuspitzungen der klassischen Richtungen, ein Verhältnis, worin z.B. Chalmers zu Malthus und Gülich[4] zu Sismondi stehn und in gewisser Hinsicht MacCulloch und Senior in ihren ältren Schriften zu Ricardo. Es ist durchaus eine Epigonenliteratur, Reproduktion, größere Ausbildung der Form, breitere Aneignung des Stoffs, Pointierung, Popularisierung, Zusammenfassung, Ausarbeitung der Details, Mangel an springenden und entscheidenden Entwicklungsphasen, Aufnehmen des Inventariums auf der einen Seite, Zuwachs im einzelnen auf der andren.
Ausnahme machen scheinbar nur die Schriften von Carey, dem Yankee, und Bastiat, dem Franzosen, von denen der letztre gesteht, daß er sich auf den erstren stützt. Beide begreifen, daß der Gegensatz gegen die politische Ökonomie – Sozialismus und Kommunismus – seine theoretische Voraussetzung in den Werken der klassischen Ökonomie selbst findet, speziell in <4> Ricardo, der als ihr vollendetster und letzter Ausdruck betrachtet werden muß. Beide finden es daher nötig, den theoretischen Ausdruck, den die bürgerliche Gesellschaft in der modernen Ökonomie geschichtlich gewonnen hat, als Mißverständnis anzugreifen und die Harmonie der Produktionsverhältnisse da zu beweisen, wo die klassischen Ökonomen naiv ihren Antagonismus zeichneten. Die durchaus verschiedne, selbst widersprechende nationale Umgebung, aus der heraus beide schreiben, treibt sie nichtsdestoweniger zu denselben Bestrebungen.
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Carey indes, dessen Ausgangspunkt die amerikanische Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft vom Staat, endet mit dem Postulat der Staatseinmischung, damit die reine Entwicklung der bürgerlichen Verhältnisse nicht, wie es in Amerika faktisch geschehn, durch Einfluß von außen gestört werde. Er ist Protektionist, während Bastiat Freetrader ist. Die Harmonie der ökonomischen Gesetze erscheint in der ganzen Welt als Disharmonie, und die Anfänge dieser Disharmonie frappieren Carey selbst in den Vereinigten Staaten. Woher dieses sonderbare Phänomen? Carey erklärt es aus der vernichtenden Einwirkung Englands mit seinem Streben nach industriellem Monopol auf den Weltmarkt. Ursprünglich sind die englischen Verhältnisse durch die falschen Theorien seiner Ökonomen verrückt worden, im Innern. Jetzt, nach außen hin, ||3| als die gebietende Macht des Weltmarkts, verrückt <6> England die Harmonie der ökonomischen Verhältnisse in allen Ländern der Welt. Diese Disharmonie ist eine wirkliche, keine bloß in der subjektiven Auffassung der Ökonomen gegründete. Was Rußland politisch für Urquhart, ist England ökonomisch für Carey. Die Harmonie der ökonomischen Verhältnisse basiert nach Carey auf der harmonischen Kooperation von Stadt und Land, Industrie und Agrikultur. Diese Grundharmonie, die England in seinem eignen Innern aufgelöst hat, zerstört es durch seine Konkurrenz überall auf dem Weltmarkt und ist so das destruktive Element der allgemeinen Harmonie. Schutz dagegen können nur die Schutzzölle – die gewaltsame, nationale Absperrung gegen die Destruktivkraft der englischen großen Industrie bilden. Die letzte Zuflucht der „harmonies économiques“ ist daher der Staat, der u ursprünglich als der einzige Störenfried dieser Harmonien gebrandmarkt wurde. Einerseits spricht Carey hier wieder die bestimmte nationale Entwicklung der Vereinigten Staaten aus, ihren Gegensatz zu und ihre Konkurrenz mit England. Es geschieht dies in der naiven Form, daß er den Vereinigten Staaten vorschlägt, den von England propagierten Industrialismus dadurch zu zerstören, daß sie ihn bei sich selbst durch Schutzzölle rascher entwickeln. Von dieser Naivetät abgesehn, endet bei Carey die Harmonie der bürgerlichen Produktionsverhältnisse mit der vollendetsten Disharmonie dieser Verhältnisse, wo sie auf dem großartigsten Terrain, dem Weltmarkt, in der großartigsten Entwicklung als die Verhältnisse produzierender Nationen auftreten. Alle jene Verhältnisse, die ihm innerhalb bestimmter Landesgrenzen oder auch in der abstrakten Form von allgemeinen Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft harmonisch erscheinen – Konzentration des Kapitals, Teilung der Arbeit, Salariat etc. –, erscheinen ihm als disharmonisch, wo sie in ihrer entwickeltsten Form – in ihrer Weltmarktsform auftreten – als die innern Verhältnisse, die die englische Herrschaft auf dem Weltmarkt produzieren und die als destruktive Wirkungen die Folge dieser Herrschaft sind. Es ist harmonisch, wenn innerhalb eines Landes die patriarchalische Produktion der industriellen Platz macht, und der Auflösungsprozeß, der diese Entwicklung begleitet, wird nur nach seiner positiven Seite aufgefaßt. Aber es wird disharmonisch, wenn die englische große Industrie die patriarchalischen oder kleinbürgerlichen oder andre auf niederen Stufen sich befindenden Formen fremder nationaler Produktion auflöst. Die Konzentration des Kapitals innerhalb eines Landes und die auflösende Wirkung dieser Konzentration bietet ihm nur positive Seite dar. Aber das Monopol des konzentrierten englischen Kapitals und seine auf lösenden Wirkungen auf die kleinren nationalen Kapitalien andrer Völker ist disharmonisch. Was Carey nicht begriffen hat, daß diese weltmarktlichen Disharmonien nur die letzten adäquaten Ausdrücke der Disharmonien sind, <7> die in den ökonomischen Kategorien als abstrakte Verhältnisse fixiert [werden] oder in dem kleinsten Umfang eine lokale Existenz besitzen. Kein Wunder, daß er andrerseits den positiven Gehalt dieser Auflösungsprozesse – die einzige Seite, die er den ökonomischen Kategorien in ihrer abstrakten Form oder den realen Verhältnissen innerhalb bestimmter Länder, wovon sie abstrahiert sind, ansieht – in ihrer weltmarktlichen, vollen Erscheinung vergißt. Wo ihm die ökonomischen Verhältnisse in ihrer Wahrheit, d.h. in ihrer universellen Realität gegenübertreten, schlägt er daher von seinem prinzipiellen Optimismus um in einen denunzierenden und gereizten Pessimismus. Dieser Widerspruch bildet die Originalität seiner Schriften und gibt ihnen ihre Bedeutung. Er ist ebensowohl Amerikaner in seiner Behauptung der Harmonie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft als in Behauptung der Disharmonie derselben Verhältnisse in ihrer weltmarktlichen Gestalt. Bei Bastiat nichts von alledem. Die Harmonie dieser Verhältnisse ist ein Jenseits“ das grade da anfängt, wo die französischen Grenzen aufhören, das in England und Amerika existiert. Es ist bloß die eingebildete, ideale Form der unfranzösischen englisch-amerikanischen Verhältnisse, nicht die wirkliche, wie sie ihm auf seinem eignen Grund und Boden gegenübertritt. Während daher bei ihm die Harmonie keineswegs aus der Fülle lebendiger Anschauung hervorgeht, sondern vielmehr das gespreizte Produkt einer dünnen und gespannten, gegensätzlichen Reflexion ist, ist das einzige Moment der Realität bei ihm die Forderung an den französischen Staat, seine ökonomischen Grenzen aufzugeben. Carey sieht die Widersprüche der ökonomischen Verhältnisse, sobald sie als englische Verhältnisse erscheinen, auf dem Weltmarkt. Bastiat, der sich die Harmonie bloß einbildet, fängt nur da an, ihre Realisation zu sehn, wo Frankreich aufhört und alle national getrennten Bestandteile der bürgerlichen Gesellschaft, von der Oberaufsicht des Staats befreit, untereinander konkurrieren. Diese seine letzte Harmonie selbst – und die Voraussetzung aller seiner frühern, eingebildeten – ist indes selbst wieder ein bloßes Postulat, das durch die Freihandelsgesetzgebung realisiert werden soll.
||4| Wenn Carey daher, ganz abgesehn von dem wissenschaftlichen Wert seiner Forschungen, wenigstens das Verdienst besitzt, in abstrakter Form die großen amerikanischen Verhältnisse auszusprechen, und zwar im Gegensatz zur alten Welt, so wäre der einzig reale Hintergrund bei Bastiat die Kleinheit der französischen Verhältnisse, die überall aus seinen Harmonien ihre langen Ohren herausstrecken. Indes ist das Verdienst überflüssig, weil die Verhältnisse eines so alten Landes hinlänglich bekannt sind und am wenigsten nötig haben, auf solch negativem Umweg bekannt zu werden. Carey ist daher reich an sozusagen Bonafide-Forschungen in der ökonomischen Wissenschaft, wie <8> über den Kredit, Rente, etc. Bastiat ist nur beschäftigt mit zufriedenstellenden Paraphrasen im Kontrast endender Forschungen; l’hypocrisie du contentement[8]. Careys Allgemeinheit ist Yankeesche Universalität. Frankreich und China sind ihm gleich nah. Allemal der Mann, der am Stillen Ozean und am Atlantik wohnt. Bastiats Allgemeinheit ist Wegsehn von allen Ländern. Als echter Yankee nimmt Carey den massenhaften Stoff von allen Seiten auf, den ihm die alte Welt bietet, nicht um die immanente Seele dieses Stoffs zu erkennen und ihm so sein Recht des eigentümlichen Lebens zuzugestehn, sondern um ihn für seine Zwecke, seine von seinem Yankeestandpunkt abstrahierten Sätze als tote Belege, als gleichgültiges Material zu verarbeiten. Daher sein Herumstreichen in allen Ländern, massenhafte und unkritische Statistik, katalogartige Belesenheit. Bastiat gibt dagegen phantastische Geschichte, seine Abstraktionen einmal in der Form von Räsonnement und das andremal in der Form von supponierten Ereignissen, die indes niemals und nirgends passiert sind, so wie der Theolog die Sünde einmal als Gesetz des menschlichen Wesens, das andremal als die Geschichte vom Sündenfall behandelt. Beide sind daher gleich unhistorisch und antihistorisch. Aber das ungeschichtliche Moment in Carey ist das gegenwärtige geschichtliche Prinzip von Nordamerika, während das ungeschichtliche Element in Bastiat bloß Reminiszenz der französischen Verallgemeinerungsmanier des 18. Jahrhunderts ist. Carey ist daher formlos und diffus, Bastiat affektiert und formell logisch. Das Höchste, wozu er es bringt, sind Gemeinplätze, paradox ausgedrückt, en facettes geschleift[9]. Bei Carey ein paar allgemeine Thesen, in lehrsatzartiger Form vorausgeschickt. Ihnen nachfolgend ein ungestaltiges Material, Sammelwerk als Beleg – der Stoff seiner Thesen keineswegs verarbeitet. Bei Bastiat besteht das einzige Material – abstrahiert von einigen Lokalexempeln oder phantastisch zugestutzten englischen Normalerscheinungen – nur in den allgemeinen Thesen der Ökonomisten. Careys Hauptgegensatz Ricardo, kurz die modernen englischen Ökonomisten; Bastiats die französischen Sozialisten.[2]